Was Gestaltung mit innerem Halt zu tun hat
- Tamara

- 12. Juli
- 2 Min. Lesezeit

Gestaltung beginnt oft dort, wo Sprache an ihre Grenzen kommt. Dann, wenn Gedanken sich überschlagen, Worte nicht ausreichen - oder wenn sich das Innenleben diffus, überfordernd oder unruhig anfühlt. In solchen Momenten kann Gestaltung mehr sein als eine kreative Tätigkeit. Sie kann zu einem Werkzeug werden: für Orientierung, Präsenz und den Versuch, wieder bei sich selbst anzukommen.
Gestaltung ist Kommunikation – auch mit sich selbst
Eine Linie, eine Fläche, eine Farbe: Gestaltung ist nie nur schön. Sie ist immer auch Ausdruck, Ordnung, Entscheidung. Sie ist visuelles Denken. Wer gestaltet, trifft Positionen. Und selbst dann, wenn etwas nicht „fertig“ wird, ist es doch ein sichtbarer Versuch, inneren Prozessen eine Form zu geben.
Diese Art der Gestaltung ist kein therapeutischer Prozess und will es auch nicht sein. Sie will nicht analysieren oder interpretieren. Sie gibt keine Anweisungen. Aber sie schafft einen Raum. Und in diesem Raum kann etwas Wichtiges passieren: Eine bewusste Auseinandersetzung mit dem, was gerade ist. Ohne Leistungsdruck, ohne Erwartungen. Nur mit einer Seite, einem Stift und einem Anfang.
Struktur schafft Halt
Gestaltung bedeutet, bewusst mit Raum umzugehen: mit Weißraum, mit Proportionen, mit Reihenfolgen. Sie strukturiert und kann gerade dadurch beruhigend wirken. Eine klare Komposition, eine ruhige Schrift, ein sanft gesetzter Rhythmus, all das sind Mittel, die Ordnung schaffen können, ohne zu überfordern.
In Momenten, in denen der Alltag zu laut ist oder das eigene Erleben zu viel, kann diese Klarheit entlasten. Ein sorgfältig gestaltetes Raster, ein durchdachtes Farbsystem oder ein geordnetes Layout ist nicht nur Design - es ist eine Haltung. Eine, die sagt: Du darfst dich sortieren. Du darfst dir Raum nehmen. Du darfst Dinge sichtbar machen, auf deine Weise.
Das leere Blatt als Einladung
Manchmal beginnt dieser Kontakt zu sich selbst mit einem leeren Blatt. Ohne Aufgabe, ohne Bewertung. Nur mit dem Mut, es nicht perfekt zu füllen. Gerade in Phasen, in denen Kontrolle oder Sprache schwerfallen, kann dieser visuelle Zugang wohltuend sein. Der Gedanke, dass etwas entstehen darf: Nicht für ein Publikum, nicht zur Leistung.
Du darfst Plakate gestalten, Piktogramme, ein Magazin-Cover oder ein ganz eigenes Leitsystem. Nicht für einen Kunden, nicht für eine Zielgruppe – sondern für dich. Als visuelles Gegenüber. Etwas, das dir zeigt: Du bist da. Du denkst. Du gestaltest. Du entscheidest.
Eine selbstgewählte Ordnung im Chaos
In meinem Buch Punkt. Linie. Halt. geht es genau darum: Gestaltung als Mittel der Selbstbegegnung. Als Einladung, sich zu orientieren, wenn die Welt zu laut ist. Als Werkzeug, sich wieder in der Gegenwart zu verankern – mit Farben, Linien, Schrift. Nicht therapeutisch, nicht analysierend, sondern unterstützend. Selbstwirksam. Gestalterisch.
Gestaltung ist mehr als eine schöne Form. Sie kann beruhigen, fokussieren, orientieren. Und sie kann uns ein Gefühl von Kontrolle zurückgeben - in Momenten, in denen sonst alles fließt, kippt oder sich entzieht.
Vielleicht beginnt es mit einer Welle, einem Raster, einem Wort. Und vielleicht ist genau das schon genug.



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